Kryptowährungen: Alternativer Ansatz ohne Konsensmechanismus

Christoph Lins
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Wer sich mit den gängigen Kryptowährungen beschäftigt, sieht sich früher oder später auch mit den Folgen des angewandten Konsensmechanismus konfrontiert. Der enorme Energieverbrauch beispielsweise von Bitcoin verursacht erhebliche Kosten und schränkt gleichfalls die Skalierbarkeit stark ein. Wurde der Konsensmechanismus dabei bisher als Notwendigkeit angesehen, um das Problem des Double-spending zu lösen und die Transaktionssicherheit zu gewährleisten, könnte sich dies jedoch als Trugschluss erweisen.

Der Konsens-Ansatz

Ein genauer Blick auf Nakamotos Forschungsarbeit von 2008 zeigt, dass das zentrale Problem bei der Implementierung einer dezentralen Kryptowährung darin besteht, doppelte Ausgaben zu verhindern, das heisst, dass derselbe digitale Token mehr als einmal ausgegeben wird.

Dies wird normalerweise dadurch gelöst, dass ein Konsens über die Reihenfolge der Transaktionen zwischen den Teilnehmern erzielt wird. Das Erreichen dieser Gesamtordnung zwischen mehreren Transaktionen ist grundsätzlich eine schwierige und ressourcenintensive Aufgabe.

Der Proof-of-Work-Konsensmechanismus, den Bitcoin verwendet, ist mit erheblichen Kosten verbunden. Die Sicherheit des Systems steht in direktem Zusammenhang mit der Höhe der Investitionen in bestimmte Hardware und dem Energieverbrauch, um diese Hardware ständig betreiben zu können.

Seit der ursprünglichen Veröffentlichung von Bitcoin wird versucht diese Methode des verschwenderischen Arbeitsnachweises zu ersetzen. Eine der bekanntesten Ansätze ist dabei der Proof-of-Stake-Konsensmechanismus. Die Teilnehmer, die über eine digitale Ressource (Kryptowährung) verfügen, bürgen für neue Transaktionen. Leider sieht sich auch der Einsatz dieser Lösung mit Problemen konfrontiert.

Des Weiteren wurde im Blockchain-Ökosystem viel Arbeit investiert, um die vollständig geordnete Kette von Transaktionen zu vermeiden. Dahinter steckt die Idee, die vollständig geordnete lineare Struktur einer Blockchain mit der eines gerichteten azyklischen Graphen (DAG) zur Strukturierung der Überweisungen im System zu ersetzen. Auch wenn Systeme eine solche DAG verwenden, um die klassische Blockchain zu ersetzen, sind sie weiterhin auf Konsens angewiesen.

Der Gossip-Ansatz mit stochastischen Stichproben

In der Tat scheint es eine verbreitete Überzeugung zu geben, dass ein Konsensalgorithmus für die Implementierung dezentraler, digitaler Systeme zur Vermögensübertragungen unerlässlich ist. Jedoch ist diese Annahme falsch.

Rachid Guerraoui, Informatik-Professor an der ETH Lausanne, und seine Kollegen argumentieren, dass viel einfachere, schnellere und weniger energieintensive Algorithmen ausreichen, um das Double-Spending Problem zu lösen. Dabei wird komplett auf Konsens verzichtet.

Die erwähnten Konsensmechanismen basieren auf der Annahme, dass jeder Akteur ein möglicher Betrüger sein kann. Anstatt wie bisher alle Teilnehmer unter Generalverdacht zu stellen, geht der konsenslose Ansatz vom Prinzip der Unschuldsvermutung aus.  Wenn Teilnehmer jemanden sehen, der dem Netzwerk schaden möchte oder sich nicht ordnungsgemäss benimmt, ignorieren sie diesen Teilnehmer – und zwar nur diesen Teilnehmer.

Die vorgeschlagene Alternative basiert auf einem Gossip-Protokoll, welches auch zur Kommunikation von Nonces oder Headern verschiedener Blöcke in Bitcoin verwendet wird, um Informationen über eine Transaktion zu verbreiten. Eine kleine Gruppe bestätigt zunächst die Transaktion und teilt die Transaktionsdetails einer anderen, grösseren Gruppe mit, die sie wiederum an andere Gruppen weiterleitet, und so weiter. Das Protokoll prüft, ob eine zufällige Stichprobe von Teilnehmern Nachrichten zu jeder Transaktion erhalten hat. Wenn diese Stichprobe ausreichend gross ist, wird die Wahrscheinlichkeit verschwindend klein, dass böswillige Angreifer das System mit fiktiven oder falschen Transaktionen täuschen können.

Während das ursprüngliche Bitcoin-Protokoll bis zu einer Stunde braucht, um den korrekten Ablauf einer Transaktion zu bestätigen, kann dies mit dem neuartigen Protokoll in weniger als einer Sekunde geschehen.

Da die Konsensanforderung nicht mehr gegeben ist, können sichere und schnelle Kryptowährungstransaktionen in grossem Umfang mit vernachlässigbaren Kosten durchgeführt werden.

Akademische Hintergrund

Das EPFL-Forschungsteam stellte das Konzept bereits in zwei Publikationen im Rahmen von Fachkonferenzen vor und stiess damit auf grosse Anerkennung der Fachwelt. Ihre Arbeit mit dem Titel „Scalable Byzantine Reliable Broadcast“ wurde mit dem DISC 2019 Best Paper Award ausgezeichnet.

Die Forscher untersuchen derzeit, wie viel ihre Algorithmen in Bezug auf andere Arten von Transaktionen leisten können, zu denen Blockchains in der Lage sind, beispielsweise die Implementierung von Smart Contracts.

Zudem planen sie den neuen Algorithmus bis Ende 2020 als Open-Source Code der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Damit kann sich jeder eine Bitcoin-Alternative zusammenbasteln, die ebenso viel Sicherheit verspricht, aber weitaus höhere Geschwindigkeit bietet.

Alltagstaugliches Zahlungssystem

Der Zahlungsverkehr mit Kryptowährungen erweist sich bisher für alltägliche Einkäufe wie beispielsweise den morgendlichen Take-Away-Kaffee als schwerfällig und wenig praktikabel. Sowohl Händler als auch Kunden sind sicherlich nicht bereit minutenlang oder gar noch länger auf eine Bezahlbestätigung zu warten – insbesondere bei Kleinstbeträgen.

Im täglichen Onlinehandel bieten Dienstleister die Abwicklung der Zahlungen an und übernehmen neben dem Wechselkurs- auch das Ausfallsrisiko. Unter diesen Umständen sind Zahlungen mittels Kryptowährungen mit klassischen Kartentransaktionen vergleichbar. Jedoch widerspricht die Einführung eines Intermediärs der dezentralisierten Grundidee einer Blockchain. 

Dabei gibt es auch technische Ansätze, die den Zahlungsverkehr beschleunigen. Dazu wird der eigentliche Zahlungsprozess abseits der Blockchain durchgeführt («off-chain»). Diese Vorgehensweise funktioniert zwar, jedoch werden die inhärenten Vorteile der Blockchain – Sicherheit, Transparenz und Autoritätsfreiheit – ausgehebelt.

Eine Kryptowährung basierend auf der konsensfreien Blockchain ermöglicht ein alltagstaugliches Zahlungssystem, ohne die eigentliche Blockchain zu verlassen. Dies könnte die Hürde für die Akzeptanz von Kryptowährungen wesentlich verringern und ihnen zum Durchbruch beim alltäglichen Zahlungsverkehr verhelfen. Hinderlich für eine Verbreitung einer Blockchain-basierten und dezentralen Währung sind weiterhin die Unannehmlichkeiten und möglichen Haftungsfolgen für den Benutzer bei Verlust des Private Keys, da es keine Wiederherstellungsmöglichkeit desselben gibt. Zudem gibt exisitert keine technische Möglichkeit der Rückbuchung bei Überweisungen an eine falsche Empfängeradresse.

Christoph Lins
Christoph Lins
Christoph Lins is the winner of the Bank Frick scholarship for the Blockchain and FinTech certificate course at the University of Liechtenstein. He has already been awarded the Willi Studer Prize for the best degree for his Master’s degree in Computer Science at the ETH Zurich. Lins is Senior Software Engineer & Team Lead at OxFORD Asset Management LLP.